„Neue Wege der Bürgerbeteiligung“ versprach ein Beschluss des Jenaer Stadtrates im Herbst 2014. Dass es eine Herzensangelegenheit war, darf mittlerweile bezweifelt werden. Nach einer für viele Bürger unverständlichen Werbekampagne standen sich zur Auftaktveranstaltung vor fast einem Jahr Kommunalpolitiker und Eichplatzaktivisten gegenüber. Auf den eigens eingerichteten Blog zur Diskussion der geplanten „Leitlinien für Bürgerbeteiligung“ verirrten sich nach Angaben der Stadt ganze 534 Bürgerinnen und Bürger. Bei den 117 Anmerkungen finden sich allerdings immer wieder die gleichen Namen. Auf Werbung für den Online-Dialog hatte man wegen der angeblich geringen Wirkung gleich ganz verzichtet.
Für die nichtöffentlich in einem „geschützten Raum“ tagende Begleitgruppe konnten sich neben Vertretern aus Politik und Verwaltung auch interessierte Bürger bewerben. Fünf meldeten sich, zwei wurden gleich wieder ausgeladen, weil die Planungen nur drei vorsahen. Gab es keine weiteren zwei Stühle am runden Tisch, an dem man diskutieren wollte, wie man Bürger besser beteiligen kann? Im September nahm die Gruppe ihre Arbeit auf. Protokolle der Sitzungen wurden erst jetzt veröffentlicht, nachdem Clemens Beckstein (Piraten) mit einer Anfrage den zuständigen Dezernenten Denis Peisker im Stadtrat zu einer Stellungnahme genötigt hatte.
Seit Mitte Dezember gibt es einen Leitlinienentwurf, aber den Bürgern zeigt man ihn noch nicht. Eigentlich wären jetzt die Stadträte gefragt, doch die Diskussionsrunde zum Entwurf wurde „auf Wunsch mehrerer Fraktionen“ kurzfristig abgesagt.
„Es ist nicht zu verstehen, warum die Fraktionen nicht wenigstens einen Vertreter schicken können“, kritisiert Stadträtin Heidrun Jänchen. „Wir Piraten wären vollständig inklusive unserer sachkundigen Bürger erschienen. Wenn sich sonst niemand dafür interessieren will, sollte man die Sache gleich uns überlassen“, setzt sie sarkastisch hinzu.
Bislang gibt es zu den Leitlinien nur zwei Stellungnahmen – beide von den Piraten. Ihnen ist noch vieles zu unkonkret. Außerdem bleibe die Stadt an einigen Stellen sogar hinter den gesetzlichen Möglichkeiten zurück, und der seit vielen Jahren erfolgreiche Bürgerhaushalt der Stadt werde gar nicht erst erwähnt.
Die nächste Sitzung der Begleitgruppe ist für den 16. Februar geplant. Bereits zwei Wochen später soll eine öffentliche Bürgerwerkstatt zum Thema stattfinden. Vielleicht schafft man es bis dahin, den Leitlinien-Entwurf zu veröffentlichen. Wegen der Kürze der Zeit wird ihn wohl kaum ein Bürger rechtzeitig lesen oder sich Gedanken darüber machen können. Die „neuen Wege der Bürgerbeteiligung“ sind derzeit nicht mehr als schmale, kaum auffindbare Pfade.
„Bürgerbeteiligung ist für die meisten Stadträte immer noch das fünfte Rad am Wagen“, meint Clemens Beckstein. „Es klingt alles ganz toll, aber man hätte am liebsten keine Bürger dabei. So wird das nichts.“