Klare Worte fand der Jenaer Naturschutzbeirat zum im Auftrag der Stadt erstellten Stadtbaumkonzept des Thüringer Instituts für Nachhaltigkeit und Klimaschutz (ThINK): „Es ist nicht vermittelbar, dass ehrenamtliche Helfer aus Jena in vielen Arbeitseinsätzen versuchen, invasive Arten zum Schutz heimischer Ökosysteme zurückzudrängen, wenn gleichzeitig invasive Arten (ohne Not) in der Stadt ausgebracht werden.“ Nur ein einziges Beiratsmitglied, ThINK-Mitarbeiter Dr. Matthias Mann (Grüne), mochte sich diesem Votum nicht anschließen.
Die Kritik entzündet sich an ganzen 9 von 163 im Stadtbaumkonzept aufgelisteten Baumarten. Insgesamt 55 davon sind „als Straßenbaum gut geeignet“, von denen lediglich acht im Verdacht stehen, sich unkontrolliert in der freien Natur auszubreiten. Während die Naturschützer meinen, die verbleibenden 47 Arten seien mehr als genug, um Jenas Straßen zu begrünen, finden die Konzeptersteller vom ThINK den Verzicht „unverantwortlich“.
Einen Konflikt gibt es auch mit einer seit Juni 2015 verschleppten Beschlussvorlage der Jenaer Piraten, die fordern, ganz auf invasive Pflanzen in der Stadt zu verzichten. „Die Koalition hat wohl so lange gebraucht, um einen Vorwand für deren Ablehnung zu finden“, meint Stadträtin Heidrun Jänchen. Besonders der erbitterte Widerstand der Grünen hat sie überrascht, zumal die Vorlage auf Anregungen des Naturschutzbundes (NABU) zurückgeht. „Die Grünen glauben, das Thema Naturschutz für sich gepachtet zu haben – und reagieren entsprechend pikiert, wenn ein anderer das ernster nimmt als sie selbst.“
Die Piraten finden es wenig überzeugend, dass es Standorte geben soll, auf denen nichts als ausgerechnet die 9 invasiven Baumarten gedeihen. Ein dafür immer wieder angeführtes Beispiel ist der Eichplatz. Dabei wachsen dort offensichtlich Bäume prächtig, und zwar nichtinvasive Platanen. In Südfrankreich sind sie der häufigste Straßenbaum, für ein künftig wärmeres Klima also bestens geeignet. Den Piraten geht es jedoch um mehr als nur Bäume. Wie in der letzten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses deutlich wurde, hat man bei KSJ keine Ahnung, ob man überhaupt invasive Arten auspflanzt. Dabei findet man an jeder Ecke in der Stadt Cotoneaster-Gestrüpp, auch als Bodendecker bekannt. Davon stehen mehrere Arten auf der Grauen Warnliste des Bundesamtes für Naturschutz.
Gemeine Robinie und Schwarzkiefer haben es auch auf die deutlich kürzere Thüringer Schwarze Liste geschafft. Ausdrücklich steht in der „Thüringer Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt“ der Auftrag an die Kommunen, in ihren Grünordnungsplänen keine invasiven und potentiell invasiven Pflanzenarten zu verwenden. Für die Experten des ThINK ist das kein Grund, auf die beiden Arten zu verzichten, und die Koalition aus CDU, SPD und Grünen unterstützt sie darin ebenso wie Stadtentwicklungsdezernent Denis Peisker (Grüne). Dabei hatte seine Partei vor zwei Jahren noch einen deutlich kritischeren Blick auf die Problematik. In einer kleinen Anfrage (Nummer 3598) hatte die grüne Landtagsabgeordnete Jennifer Schubert 2014 – damals noch in der Opposition – fast die gleichen Fragen gestellt wie jetzt die Piraten.
2015 zeichnete Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) das zu diesem Zeitpunkt noch unfertige Stadtbaumkonzept des ThINK mit dem Thüringer Umweltpreis aus – und damit die wissenschaftlich fragwürdige Empfehlung für Robinie, amerikanische Gleditschie oder Rot-Esche, allesamt als invasiv bekannt.
„Es ist schade, dass die wertvollen Jenaer Biotope für parteipolitische Interessen gefährdet werden“, kritisiert Heidrun Jänchen. „Mit mehr als 800 Farn- und Blütenpflanzen gehört das Jenaer Umland zu den artenreichsten Gebieten in Deutschland. Dagegen sind die sogenannten Herbst- und Blühaspekte der Exoten, die das Konzept immer wieder herausstreicht, doch wirklich ein Luxusproblem.“
Stellungnahme von Prof. Dr. Wolfgang Nentwig zum Stadtbaumkonzept der Stadt Jena